Memberfliegen XC-Weekend

Zwischen Plan und Realität

„Was reizt dich am Gleitschirmfliegen?“, fragte ich Patrick nach der Landung. Er grinste und antwortete ohne zu zögern: „Ganz klar die Challenge!“

Und was für eine Challenge wir uns an diesem Samstag vorgenommen hatten! Ein Streckenflug ab Einsiedeln mit dem ambitionierten Ziel: Zürich. Der Plan war klar – Start am Hummel, Querung nach Studen, weiter über den Biet zum Druesberg, wo wir den südlichen Wendepunkt setzen wollten. Von dort aus mit dem Südwestwind in der Höhe via Klöntalersee zum Walensee – Wendepunkt Nummer zwei. Den dritten Wendepunkt planten wir am Höhronen, wo sich die entscheidende Frage stellen sollte: zurück nach Einsiedeln für ein sauberes 70-km-FAI-Dreieck oder den direkten Kurs nach Zürich wagen?

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Doch wie so oft beim Gleitschirmfliegen: Die Theorie ist das eine – die Realität eine ganz andere Geschichte.

Ein perfekter Start – zu Fuss

Der Tag begann sportlich. Ab Gross wanderten wir zum Startplatz. Die Gruppe war motiviert, die 500 Höhenmeter schafften wir locker in unter einer Stunde. Oben angekommen, erwartete uns ein konstanter Nordostwind mit 10 bis 15 km/h – perfekt für eine kleine Groundhandling-Session. Eilig hatten wir es nicht. Wir schauten den anderen Piloten zu, die bereits abgehoben sind. Sie konnten sich etwas halten, aber die erhoffte Thermik? Fehlanzeige.

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XCTherm versprach den Thermikstart um 13 Uhr, mit einer Basis bei 2000 Metern. Also nutzten wir die Zeit zum Beobachten und Fachsimpeln: Wo bildeten sich die ersten Wolken? Steigt die Basis? Gibt es Windversatz? Wo könnte die Thermik abreissen? Einige entdeckten kreisende Greifvögel – ein gutes Zeichen. Doch die Luftmasse Richtung Zürich zeigte sich träge: trüb, stabil, keine Wolken. Unsere Beobachtungen passten zum Wetterbericht – und bestätigten unseren Plan, zuerst nach Osten zu fliegen.

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Abheben – und dann?

Als sich erste schwache Thermik-Bubbles zeigten, machte ich mich startklar und ging in die Luft. Das Steigen war sanft, einfach zu zentrieren – aber noch schwach und hoch ging es auch noch nicht. Bei 1500 bis 1600 Metern war Schluss. Nacheinander starteten die anderen, doch die ersehnte Wolkenbasis blieb unerreichbar.

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Ein Blick zur nächsten Krete brachte die Wende: Über dem Tritt standen die Schirme höher, eine kleine Wolkenstrasse zeichnete sich ab. Kurzentschlossen setzte ich auf Vorwärtsstrategie, beschleunigte und flog zum Tritt. In meiner Flugrichtung bildete sich eine Wolke, doch die löste sich auf, als ich darunter war – und ich fand mich in sinkender Luft wieder. Die Thermik war zyklisch heute.

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Marcel bei der Querung an den Tritt

Jetzt hiess es arbeiten: vorfliegen ins Luv, hochsoaren und auf die nächste Bubble warten – und tatsächlich, nach 15 zähen Minuten war ich endlich an der Basis bei rund 2000 Metern. Über Funk rief ich die anderen zum Nachziehen auf. Einige versuchten es, aber die A-Schirme hatten es schwer, ausreichend hoch beim Tritt anzukommen. Patrick unter seinem neuen Iota schaffte es – mit Geduld und sauberer Technik.

Plan B: Direkt nach Zürich

Gemeinsam flogen wir auf der Krete Richtung Süden. Vor uns war alles im Schatten, aber es trug gut und wir mussten aufpassen, nicht in die Wolken zu geraten. Richtung Osten waren die Wolken dichter und meiner Einschätzung nach auch grösser. So verwarf ich unseren ursprünglichen Plan und fasste einen neuen. Über der Rotenflue angekommen entschieden wir uns, den direkten Weg nach Zürich zu wagen.

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Blick in Richtung Brunnen, im Bild Patrick über dem grossen Mythen

Über die Mythen hinweg erreichten wir das Hochstuckli. Jetzt galt es, den finalen Routenentscheid zu treffen: der direkten Linie nach über den Morgartenberg, nördlich am Ägerisee vorbei – oder den Umweg via Chaiserstock, Wildspitz und Zugerberg? Das Wolkenbild gab die Antwort: Wir flogen Richtung Chaiserstock.

Dort konnten wir uns an der Nordseite noch einmal hocharbeiten – aber die ganz grosse Höhe blieb aus. Ein letzter Versuch, zur Basis zu kommen, scheiterte. Die Thermik war müde geworden. Nach weiteren 30 Minuten war klar: Das Ziel Zürich blieb ein Wunschtraum. Wir standen ab.

Fazit eines lehrreichen Tages

Auch wenn der grosse Streckenflug nicht gelang – es war ein intensiver, spannender Tag mit wertvollen Erkenntnissen:

  • Ein Plan motiviert – aber Flexibilität gewinnt.
    Wetterprognosen und Pläne sind gut, doch am Ende zählt, was die Luft tatsächlich hergibt.

  • Situationsbewusstsein ist alles.
    Wolkenbilder, Windversatz, Greifvögel – wer aufmerksam bleibt, findet Chancen.

  • Die 45-Grad-Regel beim Fliegen in Wolkennähe ist keine Theorie – sie schützt uns vor Kontrollverlust.

Motivation hat viele Gesichter. Manche freuten sich über die gesammelte Airtime, andere marschierten ein zweites Mal hoch, um es noch einmal zu versuchen. Und Patrick? Der meinte zum Abschluss: „Challenge erfüllt – wenn auch anders als gedacht!“